Ein Jahr im Takt der Natur in Schwedisch Lappland

Was passiert mit dir, wenn du ein Jahr lang nicht mehr im Takt von Wecker, Ampelschaltungen und Öffnungszeiten von Geschäften lebst? Wenn du statt von Asphalt und Beton von Wildnis umgeben bist? Was kannst du von der Natur lernen, wenn du dich auf sie einlässt, hinschaust, hineinlauschst? Ich möchte es herausfinden. 2022 in Schwedisch Lappland.

„In welchem Takt lebst du?“ Mit dieser Frage beginnt mein neues Buch mit dem Arbeitstitel „Acht Jahreszeiten – Leben im Takt der Natur“ – für das ich am 2. Januar 2022 für ein Jahr nach Schwedisch Lappland ziehen werde.

Gut ein Jahr ist es her, dass ich während einer viertägigen Pressereise ein Appetithäppchen von Schwedisch Lappland bekam. Ein Häppchen, dessen süß-salziger Geschmack noch immer an meinen Lippen haftet. In meinem Artikel „Auf der Suche nach dem Nordlicht“ hast du vielleicht schon gelesen, wie ich im Oktober 2020 auf der Suche nach dem Nordlicht zwar nie Nordlicht fand, aber etwas anderes. Wie ich innerhalb weniger Tage einen kleinen Zeh in die Wildnis Lapplands tauchte, aber am liebsten mit beiden Füßen mittendrin stehengeblieben wäre. Selbst während meiner kurzen Zeit vor Ort zeigte sich die Natur nicht immer fotofein. Nein, am Morgen der Abreise fuhr ich durch Schneegestöber und über dick gepuderte Straßen zum Flughafen von Luleå. Der Flugplan wurde durcheinandergewirbelt, während Flugzeugflügel enteist werden wollten, ebenso wie meine Gefühle, als wir doch in Richtung Startbahn schlitterten. Ein Teil von mir hatte gehofft, ich könnte noch etwas bleiben. Nur einen Tag mehr.

Dass daraus bald ganze acht (!) Jahreszeiten werden sollten, wusste ich damals, als die weiße Weite Lapplands in der Tiefe verschwand, noch nicht.

Glück wartet, wo der Schlamm schmatzt

Warst du auch einer der Menschen, die schon während des ersten Corona-Lockdowns ständig in die Natur vor der Haustür Reißaus nahmen? Dann haben wir eins gemeinsam. Zwar war es für mich als Wahlhamburgerin einige Zeit lang nur der Volkspark oder das Niendorfer Gehege mit seinem eingegitterten Damwild, die ich schnell zu Fuß erreichen konnte, doch das reichte. Jedes Mal, wenn meine Absätze nicht mehr auf dem Asphalt klackerten, sondern im Schlamm versanken, wenn Blätter um mich herum säuselten und Motoren- und Sirenengeräusche zum Hintergrundchor wurden, atmete ich auf. Dabei wusste ich nicht erst seit der Coronazeit, dass ich die Natur liebte. Ich wusste, wie gut sie mir tat, doch erst während der großen Einschränkungen wurde es mir be-wusst.

Hatte ich in den Wäldern meiner Stadt stets ausgeatmet, geschah in Schwedisch Lappland noch mehr: Ich atmete durch. Saugte jedes neue Wissen zu dieser gefühlt unendlichen Wildnis auf. Schon am ersten Abend erfuhr ich von den acht Jahreszeiten Lapplands, am nächsten Tag davon, dass es Fische in der Ostsee gibt, die nur wenige Wochen im September und Oktober laichen. Im Herbst! Der Jahreszeit, die ich bis dahin mit langsamem Sterben verbunden hatte, wenn die Bäume ihr Laub abschütteln und sich viele Tiere auf Überlebenskampf einstimmen. Als ich dann erfuhr, dass etliche Wildtiere gar im Herbst den Lüsternheitsgipfel erreichen – welche, verrate ich im Crowdfunding-Video – und neues Leben in der „Zeit des Verfalls“ entsteht, kam ich ans Nachdenken. Wie viel wusste ich eigentlich über die Natur? Liebt man einen Menschen, möchte man ihn bis in die tiefsten Winkel kennenlernen. Trotz meiner Liebe zur Natur hatte ich bisher vor allem deren Äußerlichkeiten lieben und auch verabscheuen gelernt. Frühling & Sommer gleich grün, bunt und warm, Herbst & Winter gleich kalt, trist und zum Vorspulen.

Nach den ersten Naturlektionen in Schwedisch Lappland war meine Neugier geweckt. Wenn ich schon in wenigen Tagen einiges von der Natur gelernt hatte und von den Einheimischen, für die sie mehr als Alltagskulisse war, was wäre erst, wenn ich mehr Zeit dort verbrächte? Vielleicht sogar ein ganzes Jahr, von dem ich die meiste Zeit draußen verbringen würde – alleine, mit den naturverbundenen Menschen, mit den Tieren! Leben im Takt der Natur, um mehr zu sehen, zu hören und zu spüren als das, was ich als geborener deutscher Kleinstadtmensch mein Leben lang geglaubt hatte. Was könnte ich davon mit nach Hause bringen, wie würde sich mein Verhältnis zur Natur verändern, wie mein Leben?

Ein Buchprojekt entsteht

Als leidenschaftliche Autorin verarbeite ich meine Erlebnisse am liebsten in Form von Worten auf Papier. „Acht Jahreszeiten“, stand bald in Fett auf einem leeren Blatt. Ich sammelte Ideen, worum es in diesem Buch gehen sollte. Darüber, ob ich tatsächlich für ein ganzes Jahr in die Arktis ziehen würde, dachte ich nicht weiter nach. Als Kreativmensch entstehen meine meisten Projekte, wenn die Füße in der Luft schweben, und oft braucht es eine Weile und sanfte Hilfe, sie zurück auf den Teppich zu bekommen. So verschickte ich meine ersten Gedanken an einen großen Verlag. Die Überraschung: Man wollte mehr lesen, ein Probekapitel!

Inzwischen waren Monate vergangen, die Coronakrise beherrschte die Welt. Ich stand vor dem beruflichen Aus als Reisejournalistin, steckte in einem Moor aus gesundheitlichen und anderen Problemen und hatte ins dunkelste Loch ohne Ausgangsschild eingecheckt. Die Erinnerung an vier glückliche Tage in Schwedisch Lappland half mir genau zwei Wochen lang, einen Lichtstrahl in der Dunkelheit zu erhaschen. Täglich hockte ich auf kalten Bänken in Hamburgs Wäldern und notierte Gedanken zu den acht Jahreszeiten, zum Leben im Takt der Natur. Schrieb aus der Dunkelheit heraus die ersten 20 Seiten eines neuen Buches. Verschickte diese an den Verlag. Und vergaß sie, als keine Rückmeldung kam und mich das Dunkelloch fester umklammerte.

Es wurde Sommer. Schwedisch Lappland war in meinen Gedanken in weite Ferne gerückt, die Notwendigkeit, mich aus eigener Kraft aus der Tiefe hochzugraben, verschlang alle Energie. Irgendwann fielen mir die acht Jahreszeiten wieder ein, ich fragte beim Verlag nach. Ein paar Wochen später eine Mail: Meine Idee sei wirklich interessant, man könne sich das sehr gut als Projekt im Verlag vorstellen … Echt jetzt? Wollte ich das wirklich? Es hagelte „Abers“ und ich ging erst einmal in den Wald, um die ersten davon im Matsch zu versenken.

Ich mache das jetzt!  

Vielleicht geht es dir auch so, dass dir am Anfang jedes großen Projekts erst einmal all das einfällt, was nicht geht und weswegen du das auf keinen Fall machen solltest? Bei mir waren es Fragen wie „Was bedeutet das für deine Beziehung? Du kannst doch nicht für ein Jahr von deinem Freund wegziehen!“ „Kannst du so lange ohne deine geliebten Kater leben?“ „Wird deine Mutter nicht schwermütig, wenn sie dich ein Jahr lang kaum sieht?“ „Wie willst du das finanzieren? Schweden ist teuer und du bist jetzt schon fast pleite!“ „Hältst du das überhaupt aus mit der extremen Dunkelheit und Kälte im Winter?“ Und so weiter und so fort. Ich sprach stundenlang mit meinem Partner und mit den Menschen, die mir am nächsten stehen. Zu meiner großen Überraschung waren die meisten von meinem Projekt überzeugter als ich.

„Drück dem Willen einen Weg rein“, riet mir eine liebe Zeitungsredakteurin, mit der ich schon lange zusammenarbeite. Letzten Endes war es dieser Gedanke, der mich nicht nur zum Lachen, sondern auch zum Handeln brachte. Ja, ein Jahr Schwedisch Lappland – genau das wollte ich! Und hatte ich nicht viel von dem, was ich im Leben wirklich gewollt hatte, irgendwann erreicht? Manchmal erst zehn oder mehr Jahre später, aber immerhin. Wochenlang wühlte ich mich durch Anzeigen auf Schwedisch für Miethäuser und -wohnungen in Lappland und fragte mich, wer bloß einer freiberuflichen Ausländerin ohne festes Gehalt für ein Jahr ein Dach über dem Kopf geben würde. Manchmal bezweifele ich, dass einem das Universum unter die Arme greift, wenn man etwas richtig doll will, doch dieses Mal griff es schnell zu: Der Mietvertrag für ein rotes Haus 20 Kilometer von der Stadt Kalix entfernt ist unterschrieben. 300 Meter vom Meer entfernt. In einem ca. 300-Seelendorf.

„Du kannst doch nicht mitten im Winter nach Lappland ziehen!“, hörte ich Einwände. „Warum wartest du nicht bis zum Sommer?“ „Das ist doch bestimmt furchtbar, wenn es kaum hell wird!“ Ja, warum warte ich nicht bis zum Sommer, warum nehme ich das Risiko auf mich, schon bei der Anreise mit dem Hamburger Auto ohne Allradantrieb und mit Allwetterreifen im Schnee steckenzubleiben? Zunächst einmal, weil ich das Buchprojekt sobald wie möglich beginnen möchte und ein neues Kalenderjahr stets auch mit neuem Glück verbinde. Vor allem aber, weil es sich richtig anfühlt, mein Jahr im Takt der Natur in tiefster Dunkelheit und Kälte zu beginnen – denn in solcher Dunkelheit wurde das Projekt geboren. Und wenn ich eins aus einer Menge Schlamassel gelernt habe, dann, dass jemand, der Schwärze und Kälte im Inneren erfahren hat und daraus hervorgekrochen ist, keine Dunkelheit und Kälte im Äußeren mehr zu fürchten braucht. Denn bei der äußeren Finsternis hat die Natur zum Glück vorgesorgt: Sie wird schon zu Beginn eines Jahres mit jedem Tag ein wenig lichter.

Und so mache ich mich bereit. Für eine neue Reise. Eine Reise in die Natur, um meinem Leben einen frischen Takt zu verpassen. Sollte versehentlich meine Kollektion an rosaroten Brillen im Gepäck landen, möchte ich sie vor Ort verschenken. Ebenso wie die Erwartung, dass immer alles glattlaufen wird. Das wird es bestimmt nicht. Und das ist okay. Ich bin sicher, ich werde frieren und fluchen und auch mal laut schreien. Aber auch lachen und lernen. Vor allem lernen. Wie ich gerade lerne, dass es in Ordnung ist, etwas zu tun, was ich ungern mache: um ein wenig Unterstützung bitten. Deine Unterstützung für mein Jahresprojekt, wofür ich dir im Gegenzug unter anderem Video- und Fotoeinblicke in ein Leben im Takt der Natur in Schwedisch Lappland bieten möchte. Und Geschichten. Am Ende ein Buch. Wenn du magst und kannst, bin ich dir unheimlich dankbar für jede kleine Hilfe. Und wenn nicht, freue ich mich trotzdem, wenn du mein Projekt im Jahr 2022 verfolgen wirst.

P.S. Bei Interesse werde gern Teil meiner Schwedisch-Lappland-Gemeinschaft auf Facebook.